Vom Europahaus Aurich erhielten wir den folgenden Bericht über das von der PfD geförderte Projekt „Soziokulturelle Integration und Politisierung von Obdachlosen“, den wir hier mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung stellen:
Soziokulturelle Integration und Politisierung von Obdachlosen
Dass die Klimaschutzdiskussion breite Schichten der Gesellschaft zumindest als Fragestellung erreicht hat, ist mit dem Teilnehmer*innenkreis dieser Veranstaltung offensichtlich geworden. Etwa 75 % der Teilnehmenden kamen aus prekären sozialen Situationen, in denen sie Wohnungslosigkeit selbst erlebt hatten oder sogar noch selbst davon betroffen sind. Der kleinere Anteil der Teilnehmenden kam aus dem ostfriesischen Aktivist*innenkreis der „Fridays for Future“-Bewegung und konnte Erfahrungen aus den vergangenen Aktionen einbringen.
Teilgenommen haben wie geplant insgesamt 12 Personen, dabei wurden zwei Teilnehmenden aus sozialen Gründen der Beitrag erlassen.
Die Veranstaltung ließ sich inhaltlich auf drei Ebenen verorten. Zum einen stellten die persönlichen Erfahrungen der Teilnehmer*innen mit Grenzwerterfahrungen in der Lebensgestaltung eine wichtige Basis der Diskussion dar. Zum andern boten sich mit den Ereignissen um die Flutkatastrophe in den Flusstälern der Eifel und Hessens anschauliche Beispiele für die lokalen Auswirkungen des Klimawandels in unmittelbarer Erlebensnähe, und zum dritten bot die Klimakonferenz von Glasgow anschauliche Einblicke in die politischen Begleitprozesse der gegenwärtigen Situation. Ziel der Veranstaltung war es,
- das Wissen bezüglich der Dimensionen gesellschaftlicher Teilhabe zu erweitern
- sich mit dem Klimawandel und den Konsequenzen bei uns in Ostfriesland auseinanderzusetzen und damit kreativ zu arbeiten
- mögliche Lösungsansätze zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes zu entwickeln und sich damit an demokratischen Prozessen zu beteiligen
- andere Menschen mit der „Randgruppe“ der Wohnungslosen zu konfrontieren.
Ergebnis der Veranstaltung sollte ein kleines Theaterstück sein, dass die Ergebnisse der Diskussionen in darstellerischer Form zusammenfassen und der Öffentlichkeit präsentieren konnte.
Maßgeblichen Einfluss auf Gestaltung und Durchführung der Veranstaltung hatten die Bedingungen unter den Einschränkungen der Corona-Pandemie, die die Lebensgestaltung der einzelnen Teilnehmer*innen in erheblicher Weise beeinträchtigte. Hinzu kam, dass ein nicht unerheblicher Anteil noch nicht gegen Covid-19 geimpft war, obwohl es durchaus niederschwellige Angebote für diese Zielgruppe nach ihren eigenen Aussagen gab. Das erschwerte auch die Diskussion der eigentlichen Seminarthematik, denn etliche Vorstellungen waren vom Gedankengut aus der Querdenker*innenszene oder aus politisch rechtsorientierten Einstellungen geprägt. Aber auch hier kann am Ende der Veranstaltung eine erfolgreiche Einstellungsänderung des größten Anteils der Teilnehmer*innen konstatiert werden.
Schon die Vorstellungsrunde, mit der die Veranstaltung begann, stellte die unterschiedlichen Voraussetzungen jedes Einzelnen in den Raum. Die Motivation, sich für ein Leben auf der Straße zu entscheiden, geschah aus unterschiedlichen Beweggründen und Lebensprozessen. Beziehungskonflikte, Alkoholprobleme, Schwierigkeiten mit dem Arbeitsplatz oder mit Kolleg*innen, Finanzprobleme oder auch einfach Kündigung der eigenen Wohnung stellten unterschiedliche Hintergründe dar. Auch die Zeit, die der TN-Kreis auf der Straße verbracht hatte, war unterschiedlich lang und reichte von wenigen Monaten bis zum Zeitraum von über 20 Jahren. Damit verbunden waren persönliche Erfahrungen und Erlebnisse im Grenzraum des Daseins, die auch Vorstellungen davon vermittelten, was auf eine Welt zukommen kann, wenn man grenzenlosen Wachstumsraten keine Schranken entgegenstellt. Man kann auch sagen, dass viele bereits die prognostizierten Katastrophen des Klimawandels am eigenen Leib erlebt haben.
Die Erfahrungen aus dem persönlichen Bereich wurden thematisch zu Themenkomplexen zusammengefasst, auf einer Flipchart dokumentiert (diese ist als Fotodokument diesem Bericht beigefügt), um dann in Kleingruppen bearbeitet und zu Theaterszenen umgestaltet werden zu können. Darauf wird am Ende dieses Berichtes noch einmal eingegangen.
Zunächst soll aber die Auseinandersetzung mit den Ereignissen um die Flutkatastrophe vom Juli 2021 in den Focus rücken. Hier stellten die Teilnehmer*innen in den Erlebnissen der Betroffenen aus den beteiligten Regionen eine große Übereinstimmung mit ihren eigenen persönlichen Erfahrungen dar. Die Situation bricht über Nacht herein, ohne dass man vorbereitet ist, die vorher heile Welt wird bis auf die Grundmauern zerstört, man steht unmittelbar vor dem Nichts und ist auf schnelle Hilfe angewiesen, um überhaupt überleben zu können. Damit, so war die einhellige Meinung, ist deutlich, dass es von heute auf morgen jeden treffen kann, in eine prekäre Situation zu geraten. Eingefordert wurden Respekt, Würde und Solidarität von denen, die nicht betroffen sind. Die Erfahrungen des TN*-Kreises war hier eher das Wegsehen, gegen das man sich nicht nur als Betroffene*r behaupten müsse. Und die Aktivitäten um den Umgang mit der Flutkatastrophe zeigten auch, dass es anders gehen könne. Dies könne auch ein gesellschaftliches Modell für die mit dem Klimawandel einhergehenden Veränderungen sein.
Nach den Plenumsveranstaltungen und den damit verbundenen Diskussionen gab es eine lange Phase der Kleingruppenarbeit, die aus den Themensammlungen der Einführungsphase folgende drei Schwerpunkte bearbeiteten:
- Herabwürdigung, Diskriminierung und Umgang mit Andersdenkenden
- Respekt und Respektlosigkeit im Umgang mit sozialen Randgruppen
- Extremsituationen und ihre Einflüsse auf die Lebensgestaltung
In allen drei Gruppen wurde mit kleinen Text- und Bildvorlagen ein inhaltlicher Input gegeben. Dazu dienten vor allem die Berichterstattung über die Flutkatastrophe und die aktuelle Klimakonferenz in Glasgow. Hier muss erwähnt werden, dass ein nicht unerheblicher Teil des TN*-Kreises Probleme mit Texterfassung hatte, weil dazu jahrelang keine Aktivitäten stattgefunden hatten. Dennoch gelang es, mit den eigenen Erfahrungen in dem behandelten Themenbereich, dem vorgelegten Material und den Ergebnissen der Gruppendiskussionen ein Ergebnis zu entwickeln, dass dann als kleine Theaterszene dem Plenum vorgestellt wurde. Auf eine öffentliche Präsentation konnte der TN*-Kreis sich allerdings nicht verständigen. Die Ergebnisse selbst sind als Videos dokumentiert.
Sie stellen dar, wie aus einer alltäglichen Situation eine Katastrophe werden kann, was das für die Betroffenen bedeutet und welche Hilfsmaßnahmen von der Gesellschaft ergriffen werden können und sollten. Bezogen auf die zu erwartenden Folgen des Klimawandels stellte jede Gruppe die Modellhaftigkeit ihres Ergebnisses in den Vordergrund. Mit andern Worten bedeute dieses, dass das, was aus dem Wohnungslosenmilieu beobachtbar sei, schreckliche Realität für viele andere werden könne.
Insofern kann das Seminar im Ergebnis auch als Mahnung verstanden werden. Respekt und Würde, das war einhellige Meinung, müssten wieder mehr Relevanz in der gesellschaftlichen Umsetzung gewinnen. Dann werde auch der Klimakrise zu begegnen sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass auch der kleinere Kreis der jugendlichen Aktivisten sich diesem Statement anschließen konnte.