Drehorgel als Instrument zur demokratischen Identitätsstiftung

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Die PfD bedankt sich herzlich bei Heinz-Wilhem Schnieders für den ausführlichen Projektbericht, den wir mit seiner freundlichen Genehmigung der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Herr Schnieders hat ein ganz neues Element in unsere Demokratiearbeit gebracht; die Mitglieder des Begleitausschusses (Bga) der PfD sind begeistert und sagen: Danke! Wer weiß, was uns im nächsten Jahr einfällt, um mit Musik Musik für die Demokratie zu machen …

Auf einem der Konzerte.

„Musik für alle“ – Drehorgel als Musikinstrument zur demokratischen Identitätsstiftung
konnte als Drehorgelfestival vom 27.09. – 01.10. 2023 erfolgreich in Ostfriesland durchgeführt werden. Die Veranstaltungen dienten als Elemente, um Drehorgelmusik neu im gesellschaftlichen Umgang aufzustellen und ihr auch perspektivisch eine zukunftsträchtige Rolle zu geben.
Die von der PFD geförderten Elemente dieses Festivals beziehen sich auf die Anteile, die sowohl in Vortrags- und Diskussionsform diese Aspekte der gesellschaftspolitischen Einbindung besonders herausstellen als auch in der Präsentation der Musik neue Wege gehen.
Das sind
1. Vortrag Dr. Thomas Brey zur aktuellen Situation der Drehorgelszene im Europahaus Aurich
2. Vortrag Tiemo Wölken MdEP zur europäischen Bedeutung der Drehorgelaktivitäten in der Georgskirche zu Weener
3. Konzerte in Aurich und Leer zu „Drehorgel rockt – Drehorgelmusik als volksnahe Kultur“
4. Vortragsveranstaltung mit Adrian Oswalt, Heinz-Wilhelm Schnieders und Erik Mertens zu der Einbindung der Drehorgelmusik in demokratische Kulturprozesse

Die Initiatoren unter sich.

Der Vortrag von Dr. Thomas Brey fand am 27.09. im Europahaus Aurich statt. Er thematisierte die prekäre Situation der Drehorgelmusik, indem er vor allem auf die antiquierte Literaturauswahl der Instrumente, das Alter der Drehorgelspieler und die Probleme in der nationalen und internationalen Vernetzung darstellte.
Nach Ansicht des Referenten gab es vor allem in den 60er bis 90er Jahren des letzten Jahrhunderts vielfältige Möglichkeiten, der Drehorgelmusik eine gute Perspektive zu geben. Diese Möglichkeiten seien ungenutzt geblieben. Viele damalige Festivals, Workshops und Treffen seien gestorben oder zu Halbtagszusammenkünften weniger Akteure geschwunden. Brey forderte, sich auf die Integration der Instrumente und ihrer Musik einerseits zurück zu besinnen, andererseits aber auch den technischen Neuerungen nicht im Wege zu stehen und die Instrumente auch für junge Menschen interessant zu machen.
An dem Vortrag nahmen neben den 18 Akteuren des Festivals auch ca. 20 Interessierte Personen teil.

Der Vortrag von Tiemo Wölken fand am 29.09. in der Georgskirche zu Weener vor dem dort anberaumten Kirchenkonzert statt. Es hatte somit einen Rahmen, der die ca. 60 Konzertbesucher mit seinen Überlegungen bekannt machte, aber natürlich auch die 18 Teilnehmenden des Festivals. Er gab seiner Freude darüber Ausdruck, dass auch mit Hilfe von Förderungen durch unterschiedliche Finanzgeber, darunter auch die Partnerschaft für Demokratie diese Veranstaltung überhaupt erst ermöglicht wurde. Seiner Ansicht nach gehöre diese Art von Kulturförderung zum Standartprogramm einer kulturpolischer Entscheidungsträger. Hier zeige sich, wie geeignet gerade auch die Musik sei, europäisch ausgerichtete tiefere Kontakte anzuregen und zu praktizieren. In seinem Statement gab er auch der Hoffnung Ausdruck, dass die Verwurzelung der Drehorgelmusik in der Gesellschaft, wie sie in den Niederlanden vorzufinden sei, ein Beispiel für die Praxis in der Bundesrepublik Deutschland abgeben könne. Immerhin gehöre die Drehorgel wie ihre große Schwester auch zum von der Unesco anerkannten Kulturgut. Er selbst habe jedenfalls auch durch die Beschäftigung mit der Thematik erkannt, welche demokratischen Traditionen hier auf ganz unkonventionelle Weise zu pflegen seien.
Eine ganz andere Kulisse boten die Veranstaltungsorte Markthalle Aurich und Kulturspeicher Leer, die am 28.09. für die Durchführung einer Veranstaltung mit dem Titel „Drehorgel rockt“ genutzt wurden. Hier konnten die Teilnehmenden dem Publikum (ca. 200 Zuhörende) neue und populäre Musik in ganz unterschiedlichen Arrangements vorstellen. Zu den einzelnen Titeln wurden auch die entsprechenden Zusammenhänge von den Vorführenden erklärt. Mit diesen beiden Veranstaltungen konnten auch Kreise erreicht werden, die sich ansonsten kaum mit kulturpolischen Fragestellungen beschäftigen. Positive Rückmeldungen aus der Zuhörerschaft ermutigten sehr zu weiteren Veranstaltungen dieser Art.

Den Abschluss des Festivals bot am 01.10. eine kulturpolitische Forumsveranstaltung, in der drei Vortragende zum einen auf die demokratischen Traditionen der Drehorgelmusik verwiesen, die seit ihrer Entstehung immer vor allem die Musik der aktuellen Zeit vorgestellt habe, zum anderen vielen die Teilhabe am Musikleben ermöglichte, denen der Zugang aus finanziellen oder sozialen Gründen eher verwehrt blieb.
Adrian Oswalt beschrieb als Komponist seine Versuche, ein größeres Publikum für neue Werke aufzuschließen und mit der Verwendung der Drehorgel auch in der Zusammenstellung mit anderen Musikinstrumenten neue Wege zu gehen. Seine Erfolge auch in der Integration junger Menschen über z.B. Schulworkshops sind ja auch in diesem Festival aufgegriffen und modellhaft umgesetzt worden.
Erik Mertens gehört zu den Initiatoren, die dafür gesorgt haben, dass die Drehorgelmusik in den Niederlanden zum immateriellen Erbgut gezählt und auch entsprechend gefördert wird. Die Geschichte der Drehorgelmusik in den Niederlanden ist nach seiner Darstellung eng mit der kulturellen Identität und deren Einbindung in den sozialen und kulturellen Alltag verbunden. Und dass dieser Prozess bis heute Bestand hat, liege vor allem auch an der angebotenen musikalischen Literatur, die sich am Mainstream orientiere und ständig auch aktuelle Hits in das musikalische Programm einfüge. Mertens Aufforderung an die Zuhörerschaft war eindeutig: Wenn auch in Deutschland die Drehorgelmusik Bestand haben wolle, könne sie vom niederländischen Beispiel nicht nur viel lernen, sondern in der Kooperation über die Grenze hinweg könnten beide Zielgruppen profitieren.
Heinz-Wilhelm Schnieders griff in seinem Vortrag noch einmal die Tradition der historischen Drehorgelentwicklung auf, in der viele Menschen an kulturpolitischen Prozessen beteiligt waren. Er forderte auf, die Musikszene der Zeit stärker in den Fokus der Arrangements zu rücken und dabei auch alle Sparten zu berücksichtigen. Sowohl historische als auch aktuelle Klangbeispiele wiesen Möglichkeiten vor, größere Kreise wieder an die Musik der Drehorgel heranzuführen und dabei auch Partizipation zu ermöglichen.