Im Folgenden drucken wir den Projektbericht „Theaterseminar mit Wohnungslosen“ von Angelika Heinich ab:
Theaterseminar mit Wohnungslosen
„Wir gehören auch dazu!“ – Politischer Diskurs mit Menschen am Rande der Gesellschaft
23.11. – 25.11.2020
Ende November, genau von Montag, den 23.11.2020 bis Mittwoch, 25.11.2020 beschäftigten sich unter Leitung der Theaterpädagogin und Schauspielerin Angelika Heinich und dem Kultur- und Geschichtspädagogen Heinz-Wilhelm Schnieders aus Aurich zwanzig Menschen mit eigenen Erfahrungen von Wohnungslosigkeit, bzw. solche, die mit dieser Zielgruppe beruflich beschäftigt sind (Sozialarbeiter*innen, Mitarbeiter*innen der Tagesaufenthalte der Diakonie für Wohnungslose, Praktikant*innen) mit dem Thema politische Teilhabe aus einer schwierigen Position.
Alles war in diesem Seminar anders: Der Termin wurde zunächst vom 02.-04-11-2020 Corona bedingt verschoben, dann lief die Anreise unter erschwerten Bedingungen, da alle Teilnehmenden wegen der Corona-Pandemie einen Mund-Nasen-Schutz tragen mussten und sich nicht – wie sonst üblich – mit viel Herzlichkeit und Umarmung begrüßen durften. Dennoch war die Freude groß, bekannte und neue Gesichter (unter der Maske) zu sehen. Natürlich brachte die Covid 19 – Pandemie auch Vorteile: Wo die Teilnehmenden sich während des Seminars ansonsten zu zweit und zu dritt ein Zimmer für die Übernachtung teilen mussten, hatten sie dieses Mal den Luxus von Einzelzimmern. Auch gab es erstmals für die Wohnungslosen eine Hygiene-Schulung durch eine Mitarbeiterin des Europahauses zu Beginn der Veranstaltung. Und schließlich gab es auch in der öffentlichen Darstellung des Projektes Änderungen in Bezug auf den bewilligten Antrag: Die eigentlich geplante abschließende öffentliche Vorstellung der Workshop-Ergebnisse mussten einer Video-Dokumentation weichen.
Mit leichter Verspätung starteten wir mit einer lockeren Kennenlernrunde, um die Teilnehmenden dort abzuholen, wo sie sich gerade befanden. Hierbei wurden auch ihre Erfahrungen und Erwartungen abgefragt. Methodisch wurde insgesamt häufig kreativ in Kleingruppen gearbeitet, weil dadurch auch schwächere Mitglieder der Gruppe erreicht werden konnten. Einige Teilnehmenden nahmen auch das Recht am eigenen Bild in Anspruch und baten darum, nicht fotografiert zu werden, da sie bereits schlechte Erfahrungen mit den sogenannten sozialen Medien gemacht hatten. In unserem Projekt haben wir uns am Beispiel von Wohnungslosigkeit dem Thema gesellschaftliche Ausgrenzung und Teilhabe am Beispiel von Wohnungslosen gewidmet. Dabei nutzten wir methodisch die Möglichkeiten der Diskussion ebenso wie die Mittel der Theaterpädagogik.
Um für das Projekt Nachhaltigkeit zu gewähren und trotzdem die Corona-Bestimmungen zu beachten, entschieden wir uns für eine Videoaufzeichnung der Arbeitsergebnisse und keine öffentliche Aufführung (verboten), um diese im Nachhinein anderen Einrichtungen kostenlos zur Verfügung zu stellen. Dass sich Ausgrenzung exemplarisch sehr gut an der Situation von Wohnungslosen in unserem Wohlfahrtstaat zeigen lässt legten wir mit einer PowerPoint Dokumentation offen, die zu politisch hochmotivierten Diskussionen führte.
Dadurch konnten die Teilnehmenden sehr gut ihr Wissen bezüglich der Dimensionen gesellschaftlicher Teilhabe erweitern und sich über gesellschaftliche Missstände Gedanken machen. Die Ergebnisse hielten sie in Kleingruppen im kreativen Prozess fest, wie z.B. Standbilder zu den verschiedenen Positionen. Immer wieder forderten Heinz-Wilhelm Schnieders und Angelika Heinich die (ehemals) Wohnungslosen auf, selbst mögliche Lösungsansätze zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes zu entwickeln und sich damit an demokratischen Prozessen beteiligen. In einem spontan initiierten Interview auf dem Marktplatz von Aurich wurden die Bewohner*innen der Stadt mit der „Randgruppe“ der Wohnungslosen konfrontiert und zeigten sich überrascht vom politischen und meinungsbildnerischen Engagement der Obdachlosen.
Die zwanzig Teilnehmenden, die selber von Wohnungslosigkeit betroffen sind/ waren und solchen, die mit dieser Zielgruppe beruflich verbunden sind, waren stolz auf die Ergebnisse, die hinterher mit in die erarbeitete Szenenfolge mit einfloss. Den Kontakt zur Zielgruppe erhielten wir im Übrigen über die Tagesaufenthalte für Wohnungslose der Diakonien in der Region. Durch die langjährige Erfahrung, die das Europahaus Aurich in der Bildungsarbeit mit Wohnungslosen und ehemals Wohnungslosen hat, konnten schnell Ergebnisse erzielt werden. In einer wichtigen Arbeitsphase wurde die prinzipielle Befähigung Theater zu spielen trainiert, da es auch viele „Neue“ gab, die sich noch nie mit dieser Methode befasst hatten. Auch Wohnungslose haben Scham, wollen sich nicht bloßstellen und haben es nicht gelernt, in andere Rollen zu schlüpfen. Daher wurde viel an der Körpersprache und -spannung (Status) und Stimme (Lautstärke) und Artikulation der Wohnungslosen gearbeitet. Ebenso wichtig war das Trainieren von Vorstellungsvermögen und Konzentration.
Am Ende des Seminares war dann eine Aufführung geplant, die der Öffentlichkeit präsentiert werden sollte. (ca. 30 – 60 Zuschauende im Europahaus). Corona bedingt entfiel diese Vorstellung, aber um eine höhere öffentliche Verbreitung der Arbeit zu gewährleiten wurde das Ergebnis des Projektes mit Video begleitet und kann im Nachhinein zu einem Film erstellt werden, der dann kostenfrei an die Tagesaufenthalte der Diakonien, aber auch an Kirchen und Schulen auf Anfrage gegeben wird. Dort kann der Film dann von verschiedenen Gruppen halböffentlich angesehen werden.
Theoretischen Input und Anregung zur Diskussion holten sich die Beteiligten auch durch die beiden NDR-Videos „Die Not der Obdachlosen zu Corona-Zeiten“ von Marie Blöcher, Katrin Kampling, Lucie Kluth & Anne Ruprecht und „Kein Unterschlupf: Covid-19 trifft Obdachlose besonders hart“ über Wohnungslose in Spanien und Italien.
Abschließend lässt sich sagen: Es lohnt sich immer wieder mit Menschen am Rande der Gesellschaft zu arbeiten, denn sie gehören eben auch zu unserer Gesellschaft und unserer Demokratie. Im entstandenen Theaterstück übernehmen die Wohnungslosen, nachdem sie Missstände aufgedeckt haben wie z.B. die Schwierigkeit, täglich an frische Masken zu gelangen, die Initiative und verfassen einen Brief mit Lösungsvorschlägen an die politischen Gremien.