Zwei Veranstaltungen zu Flucht, Aufnahme, Erinnerung: „80. Jahrestag der Deportation der Russlanddeutschen“ und „Konzert zum Tag der deutschen Einheit“

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Herr Lennart Bohne, Mitglied des Begleitausschusses der PfD und wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationszentrums Gnadenkirche in Norden-Tidofeld, schrieb uns den folgenden Projektbericht, den wir hier mit freundlicher Genehmigung für alle Interessierten von „Demokratie leben!“ zur Verfügung stellen:

Durch Förderung der „Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Aurich“ als Teil des Bundesprogramms „Demokratie leben“ des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend war es der Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld möglich, im Jahr 2021 zwei Veranstaltungen zum Themenfeld „Flucht, Aufnahme, Erinnerung“ durchzuführen. Ursprünglich hatten wir noch mehr Veranstaltungen geplant, die aber leider infolge der Pandemie abgesagt werden mussten.

Ziel war es, in Form verschiedenartig geprägter Veranstaltungen wie Vorträgen, Lesungen Zeitzeugengesprächen oder Konzerten die Migrationsgeschichte in Deutschland seit 1945 aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und den „Normalfall Migration“ darzustellen. In diesem Sinne wirkte die Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld als Dialogmedium in die Gesellschaft hinein: Rückblicke wurden ermöglicht, Vergleiche wurden gezogen und Debatten mit Blick auf Gegenwart und Zukunft geführt.

Für uns ganz wichtig: Die Durchführung der Veranstaltungen folgte stets strikt nach einem Hygieneplan, in dem die jeweils aktuellen Maßnahmen zum Infektionsschutz Berücksichtigung fanden

Erste Veranstaltung am Freitag, den 3. September 2021 (Besucherzahl 35):

Vortrag mit Dr.Hans-Christian Petersen: Die Zukunft der Erinnerung. 80. Jahrestag der Deportation der Russlanddeutschen 1941 und das „sowjetische Gepäck“

Am 28. August 2021 jährte sich der Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR „Über die Umsiedlung der im Wolgagebiet ansässigen Deutschen“ zum 80. Mal. 67 Tage nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 markiert dieses Datum einen gravierenden Einschnitt im Leben der Wolgadeutschen, die als Nachkommen deutscher Einwanderer in das Russische Reich vorwiegend am Unter- und Mittellauf der Wolga siedelten.

Screenshot/Aktionsfoto aus Livestream mit Prof. Dr. Hans-Christian Petersen.

Kollektiv wurden die Wolgadeutschen der Kollaboration mit dem faschistischen Regime bezichtigt und nach Sibirien und Zentralasien deportiert. Familien wurden gewaltsam getrennt, tausende Menschen kamen ums Leben, die überlebenden Deportierten mussten in der Arbeitsarmee, der sog. Trudarmee, Zwangsarbeit leisten.

Doch wie ging die russlanddeutsche Geschichte nach dem Tod Stalins 1953 weiter? Was bedeutete das „sowjetische Gepäck“, das mehr als drei Millionen Menschen als Aussiedler und Spätaussiedler mit in die Bundesrepublik brachten, bis heute für ihr Selbstverständnis? Und welche Perspektiven gibt es, die russlanddeutschen Erfahrungen auch zukünftig in einer migrantischen Gesellschaft präsent zu halten?

Diesen Fragekomplexen ging Dr. Hans-Christian Petersen, Gastprofessor für „Migration und Integration der Russlanddeutschen“ am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) in Oldenburg in seinem Vortrag nach.

Der Vortrag wurde als Präsenzveranstaltung – 35 Gäste unter Einhaltung der zu diesem Zeitpunkt geltenden 3G-Regel – durchgeführt und zusätzlich als Livestream auf dem youtube-Kanal der Dokumentationsstätte bereitgestellt. Der Vortrag ist weiterhin abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=vbhiEMJtrRA

 

Zweite Veranstaltung am Sonntag, den 3. Oktober 2021 (Besucherzahl 80):

Konzert mit Aeham Ahmad zum Tag der Deutschen Einheit

Flucht, Vertreibung, Ankunft und Integration haben unsere Gesellschaft seit 1945 fortwähre

Dr. Helmut Kirschstein moderierte das Gespräch mit Aeham Ahmad.

nd beschäftigt und geprägt, von den 12 bis 14 Millionen Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten bis hin zu denjenigen, die ab 2015 als Asylbewerber:innen auf der Suche nach Sicherheit und Frieden in unser Land gekommen sind und kommen. Vielfalt und Toleranz sind eine Herausforderung, aber auch eine Stärke unserer Gesellschaft. Wir feierten sie am Tag der Deutschen Einheit und luden zu einem Konzert mit dem palästinensisch-syrischen Pianisten Aeham Ahmad ein.

Alle drei Tageszeitungen aus unserem Landkreis berichteten über das Projekt. Hier der Artikel aus dem Ostfriesischen Kurier.

Aeham Ahmad wurde 1988 im Flüchtlingsviertel Jarmuk am Rand der syrischen Hauptstadt Damaskus geboren. Er studierte Musik in Homs. Internationale Bekanntheit erlangte er 2014/2015 durch seine öffentlichen Auftritte als » Pianist in den Trümmern« während des Bürgerkriegs in Syrien. Nachdem Jarmuk im April 2015 von den Kämpfern des »Islamischen Staates« eingenommen worden war, zerstörten diese bei einer Kontrolle sein Klavier. Aeham Ahmad entschloss sich zur Flucht und kam über Izmir, Lesbos und die Balkanroute im September 2015 nach Deutschland. Bereits im selben Jahr erhielt er in Bonn den erstmals verliehenen Internationalen Beethovenpreis für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armutsbekämpfung und Inklusion. Seitdem folgten zahlreiche Auftritte, bei denen er auf die Situation in Syrien aufmerksam machte. 2017 erschien seine Autobiografie »Und die Vögel werden singen. Ich, der Pianist aus den Trümmern«, die bereits in mehrere Sprachen übersetzt wurde.

Auf einen Kurzfilm über Aeham Ahmads Leben und ein anschließendes Konzert folgte ein offenes Gespräch mit dem Künstler.